Zeitenwende am Immobilienmarkt?

Die Zinserhöhungen haben den zwölfjährigen Immobilienboom beendet. Mit massiven Folgen für Eigentümer, Kaufinteressenten und die Baubranche.

Große Wohnungsbaugesellschaften reagieren. Der Vonovia-Entwicklungsvorstand hat verkündet, dass Deutschlands größter Wohnungskonzern 2023 wegen gestiegener Zinsen und hoher Inflation keine Neubauvorhaben startet. Man müsse abwarten, bis Fremdkapital zu niedrigeren Zinsen verfügbar sei oder staatliche Förderung das Bauen wieder ermögliche.

Die Gewerkschaft IG Bau sieht in der Streichung der 2000 geplanten Neubauwohnungen eine fatale Signalwirkung. Das wäre ein Tiefschlag für den Markt, der dringend Wohnungen braucht, und für die Menschen, die dringend eine Wohnung suchen.

Die sinkende Nachfrage seit Mitte 2022 setzt die Kaufpreise unter Druck. Zwar sind viele Anbieter noch nicht bereit, sich auf größere Preisabschläge einzulassen, um ihre Immobilie loszuwerden. Schließlich bewegten sich seit Ende der Finanzkrise 2009 die Immobilienpreise bundesweit nur in eine Richtung: nach oben. Andere Anbieter, die den Verkaufsgewinn nach der zehnjährigen Spekulationsfrist erreicht haben oder einen lang andauernden Preisrückgang befürchten, kommen den Kaufinteressenten beim Preis eher entgegen, um schnell Kasse zu machen. So weist der EPX-Hauspreisindex der Kreditplattform Europace für alle Arten von Wohnimmobilien außer neu erbauten Ein- und Zweifamilienhäusern seit Sommer 2022 sinkende Preise aus. Den stärksten Rückgang im Vorjahresvergleich verzeichnet das Segment der Eigentumswohnungen. Hier gingen die Preise um 6,7 Prozent gegenüber Januar 2022 zurück. Das Portal Immowelt registrierte im vierten Quartal 2022 in 13 von 14 untersuchten Großstädten sinkende Angebotspreise von Bestandswohnungen im Vergleich zum Vorjahr. Am stärksten fielen die Preise bisher in Essen (minus acht Prozent), gefolgt von Hannover (minus sieben Prozent) sowie von München und Hamburg (jeweils minus sechs Prozent). Besonders hart traf es Anleger, die noch zum Preishochpunkt, also im Sommer 2022, gekauft hatten. Sie erwischten nicht nur den ungünstigen Kaufzeitpunkt, sondern können die hohen Kaufnebenkosten — Grunderwerbsteuer, Notar- und Maklerkosten — von knapp zehn bis 15 Prozent des Kaufpreises bislang nur über einen kurzen Zeitraum verteilen. Abzüglich der Inflationsrate von knapp acht Prozent im Jahresdurchschnitt 2022 ergab sich fast überall ein zweistelliger realer Wertverlust für Wohnimmobilien. Ein Inflationsschutz mit Immobilien — für viele Anleger ein wichtiges Kaufmotiv — lässt sich ohnehin nur über längere Zeiträume nachweisen.

Eigentümer, Anbieter und Kaufinteressenten von Immobilien stellen sich die Frage, wie lange und wie tief die Kaufpreise noch fallen werden. Einen starken Einfluss wird auch künftig die Zinsentwicklung haben. So steht die Europäische Zentralbank (EZB) aufgrund der anhaltend hohen Inflationsrate unter Druck, mit weiteren Leitzinserhöhungen den Kaufkraftverlust des Euro zu begrenzen. Angesichts noch etwas höherer Zinsen im Lauf des Jahres dürfte die Erschwinglichkeit von Immobilien weiter nachgeben.

Im Gegensatz zu den Kaufpreisen ist bei den Mieten aktuell keine Entspannung am deutschen Wohnungsmarkt zu beobachten. Mit der Zuwanderung von knapp einer Million Flüchtlingen aus der Ukraine gab es 2022 eine starke zusätzliche Wohnungsnachfrage. Nach einer Studie des Empirica Instituts verteilen sich die Flüchtlinge — mehrheitlich Frauen, Kinder und Ältere — recht gleichmäßig in den Regionen.

Überdurchschnittlich hohe Zuwanderungen gab es nur in den Städten Baden–Baden, Hof, Schwerin, Gera, Chemnitz und Bremerhaven, wo zum Teil zuvor schon viele Ukrainer wohnten. Aufgrund des Flüchtlingsstroms ermittelte Empirica eine Verdoppelung der benötigten Neubauwohnungen auf über 400 000 Wohneinheiten für 2022. Für die Jahre 2023 bis 2025 werden weitere rund 320 000 Neubauwohnungen benötigt, bis ab 2026 der Neubaubedarf wegen der Demografie deutlich zurückgeht. Der ermittelte Wohnungsbedarf für 2022 entsprach dem von der Bundesregierung 2021 angekündigten Neubauziel von 400 000 Wohnungen pro Jahr.


Ihr Tobias Mangold